Ich bin heute Morgen in einer Kirche aufgewacht und das ist schon ein besonderes Gefühl.
Das Glockenbachviertel in München ist wirklich schön, überall kleine Läden, Cafés und sogar eine Boulangerie. Da fühle ich mich wieder ein bisschen wie in Frankreich.
In der U-Bahn drehe ich eine Extrarunde, d.h. ich komme nicht rechtzeitig raus an der Endhaltestelle und drehe mit um. Der Zugführer beruhigt mich durch die Scheibe, denn ich bin kurz davor Schnappatmung zu kriegen. Ich will heute nicht meinen Flug verpassen, wegen so etwas.
Der Flug ist heute ein bisschen holprig
Ich bin etwas mitgenommen, doch ich genieße es in Madrid endlich spanischen Boden unter den Füßen zu haben. Ich habe beschlossen auf dem Camino die Exerzitien von Ignatius von Loyola durchzuarbeiten und es geht gleich gut los.
Ich soll mich mit dem Thema Sünde beschäftigen. Als erstes mit den gefallenen Engeln, die wegen ihres Hochmutes vom Himmel in die Hölle gestützt wurden. Puh, das fängt ja gut an. Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Ich hatte jahrelang das Gefühl in der Hölle zu leben.
Für mich persönlich ist die Hölle ein Zustand und kein Ort.
Die völlige Abwesenheit von Freude und Liebe. Alles ist nur noch dunkel und kalt. Ich dachte echt das wars jetzt. Bis ich angefangen habe zu verstehen, dass ich mich aus Angst vor Verletzung verschlossen habe. Ich habe aufgehört dem Leben zu dienen und mich ihm hinzugeben.
Die andere Sünde, die angeführt wird, ist die von Adam und Eva und ihre Vertreibung aus dem Paradies. Die Geschichte mit dem Baum der Erkenntnis hat es auch echt in sich. Mir ist neulich im Bad mal wieder aufgefallen, dass ich mich schäme nur im Bikini zum Kiosk zu laufen und Pommes mit meinen Nichten zu kaufen. Die wiederum flitzen völlig ungeniert nackt rum.
Sie haben noch nicht in diesen saueren Apfel gebissen.
Auf dem Camino ist das anders, da habe ich keine Energie, mit meinem Körper zu hadern, er trägt mich schließlich jeden Tag bis zur Erschöpfung um die 30 Kilometer. Ich bin dankbar, dass er noch so gut in Schuss ist und mir diese Erfahrungen ermöglicht.
Und deprimiert rumhängen? Wo denn? Hier gibt’s keine Couch und keinen der mich für mein schweres Leben bedauert. Da haben sich solche Dinge schnell von selbst erledigt. Ich vergleiche mich mit anderen und nur im Vergleich erfahre ich mich selbst, in den Unterschieden.
Ein Problem wird das erst, wenn ich mir einrede, dass ich schlechter abschneide
und anfange etwas anders haben zu wollen als es ist. Eigentlich ganz einfach zu verstehen, doch wie oft glaube ich diese Gedanken.
Vom Flughafen in Bilbao fahre ich sofort zum Busbahnhof, um heute noch nach Irun zu kommen, dann kann ich morgen gleich loslaufen. Dort erfahre ich dass ich erst in 3 1/2 Stunden einen Platz in einem Bus kriege. Das ist auch ok.
Ein Zimmer werde ich nicht mehr bekommen, aber das schreckt mich nicht mehr. Ich habe ein Zelt und eine Isomatte, im Grunde schlafe ich mittlerweile überall.
Ich ziehe los die Stadt zu erkunden und fühle mich sofort wieder wie zu Hause. Am Anfang fällt es mir mal wieder schwer auf Spanisch umzuschalten. Jetzt versuche ich ständig Französisch zu reden.
Bilbao ist ein Hochgenuss für mich.
Im Kiosk am Guggenheim Museum läuft ein Stück von Samuel Barber das ich sehr liebe und ich entspanne noch tiefer. Musik kann Wunder bei mir vollbringen. Ich ziehe also mal wieder völlig ungeniert die Schuhe aus und mache es mir mit meinem Rucksack bequem.
Langsam glaube ich, gehen meine Manieren flöten und ich denke nur noch daran wie ich es mir möglichst gemütlich machen kann, um zu entspannen und Kraft zu tanken.Die Busfahrt nach Irun verläuft ohne Probleme und es schon dunkel als ich endlich ankomme.
Jetzt heißt es erst mal den Jakobsweg finden.
Für eine Unterkunft ist es zu spät. Es ist schon halb elf. Nach ein paar Minuten bin ich auf dem Camino und bin überglücklich, wieder unterwegs zu sein. Es geht raus aus der Stadt und mit der Stirnlampe finde ich mich gut zurecht.
Das hat schon auch was im Dunkeln zu laufen und sich seinen Weg zu suchen. Ich bin ganz alleine unterwegs und die kühle Nachtluft weht mir um die Nase.
Nach einer Stunde schlage ich mein Zelt etwas abseits des Hauptweges einfach im Wald auf und schlafe zufrieden auf meiner neuen Isomatte ein.